Jack and Sally
Sommer 2019. Ich missachte die einschüchternden Verbotsschilder der spanischen Behörden, zwänge mich durch ein Loch im rostigen Zaun, der ein Militärgelände aus den 1960er Jahren oberhalb der Stadt Ferreries auf der Baleareninsel Menorca umgibt und finde mich in einer anderen Welt wieder. Der kalte Krieg ist plötzlich wieder fühlbar, die aufgegebenen Radaranlagen der US-Army lassen Assoziationen an die Zone im Film Stalker von Andrei Tarkowski in mir aufsteigen. Auf den zweiten Blick sehe ich, dass die Anlage längst von der internationalen Graffiti-Szene entdeckt wurde. Unzählige Tags und Bilder sind in der Unwirtlichkeit des geheimen Ortes entstanden. Hier oben entdecke ich die Liebesgeschichte von Jack und Sally. Das junge Paar, ganz mit sich und seiner ersten Liebe beschäftigt, beschreibt seine Gefühle in einem ehemaligen Mannschaftszimmer der US-amerikanischen Armee. Ich bin im Begriff das Areal zu verlassen, um mich nicht länger der mehrere Tausend Watt starken nichtionisierenden Strahlung auszusetzen, die von der Umnutzung des Geländes durch spanische Telekommunikatiosfirmen ausgeht, als unvermittelt ein reales Liebespaar auftaucht. Während sie von einem weiteren Militärgelände bei Son Bou im Süden der Insel schwärmen, sind sie für mich in diesem Moment Jack und Sally.
Menschenleer und still ist das über hundert Quadratkilometer grosse Gelände, Teil einer weiten Hochebene direkt am Meer, die die Natur zurückerobert hat. Landschildkröten und Eidechsen nähern sich mir zutraulich. Brunnenanlagen aus römischer Zeit belegen die strategisch herausragende Lage des Ortes. Dann stosse ich auf alte Geschütze, 15″ Vickers Armstrong-Kanonen, die erstaunlich gut erhalten sind und mir den Eindruck vermitteln, jederzeit in Betrieb genommen werden zu können. Da meine ich, beim Swimmingpool der etwas weiter entfernten Offiziersmesse die imaginären Stimmen der Soldaten zu hören und denke an den Roman La Invention de Morel von Adolpho Bio Casares oder an den Film L’année dernière à Marienbad von Alain Resnai und Marguerite Duras, in denen gleichsam unerklärlich Personen und Szenen aus einer längst verflossenen Zeit auftauchen. Zufällig entdecke ich das labyrinthische System von Stollen, das unterirdisch alle Anlagen verbindet und in mir beim Betreten beklemmende Gefühle auslöst, sodass ich fröstelnd wieder ans Tageslicht trete.
Genre: Reportage
Kamera (digital): Nikon Z6 mit Nikkor-Z Zoom-Objektiv 24-70mm/2.8
Nikkor-Z Zoom-Objektiv 14-30mm/4
Nikon Flash SB500